Stellungnahme: Flüchtlingssozialarbeit seit 01.01.2021 im LK Leipzig

Seit Beginn des Jahres ist im Landkreis Leipzig das Unterstützungsangebot der Sozialen Arbeit mit geflüchteten Menschen fast vollständig in öffentlicher Trägerschaft der Landkreisverwaltung. Neben der Rückkehrberatung und der Kommunalen Integrationskoordination ist seit dem 01.01.2021 auch die Flüchtlingssozialarbeit (FSA) flächendeckend im gesamten Landkreis Leipzig durch das Ausländeramt übernommen worden, also jener Verwaltungsbehörde, die als Ordnungs- und Ausführungsorgan bestehende Asyl- und Aufenthaltsgesetze umsetzt.

Diese Entwicklung ist als mindestens problematisch einzuschätzen, wie besonders im vergangenen Jahr 2020 verschiedene Akteur*innen aus Praxis und Wissenschaft der Sozialen Arbeit mit Geflüchteten in Sachsen erklärten. U.A. wird das Subsidiaritätsprinzip umgangen, es kommt zu Mandats- und Rollenkonflikten und die Lebenswelt der Adressat*innen bleibt unberücksichtigt. Im Folgenden möchten wir, der Runde Tisch Migration Landkreis Leipzig (RTM) als unabhängiges Gremium und zivilgesellschaftlicher Zusammenschluss verschiedener Initiativen, freier Träger, Vereine, Wohlfahrtsverbände sowie Privatpersonen im Landkreis Leipzig, die Entwicklungen seit 2018 nochmals aufzeigen. Außerdem möchten wir die diversen fachlichen Stellungnahmen und Positionen zu dieser Entwicklung nennen, in aller Kürze erläutern sowie exemplarisch aufzeigen, was der aktuelle problematische Zustand der Flüchtlingssozialarbeit im Landkreis Leipzig für unsere Praxis und die Betroffenen bedeutet.

 

1. Entwicklung der FSA im Landkreis Leipzig seit 2018

Bereits 2018 kritisierte der RTM das Ausschreibungsverfahren zur FSA im Landkreis Leipzig. Bis 2019 lag die FSA bei freien Trägern: Verteilt auf fünf Lose haben der Caritasverband Leipzig, das Deutsche Rote Kreuz, die Diakonie Leipziger Land, der Internationale Bund und Wegweiser e.V. seit 2015 landkreisweit eine Unterstützungsstruktur für geflüchtete Menschen aufgebaut. Zudem entstand eine gute Vernetzung und Zusammenarbeit zu anderen Akteur*innen im Sozialen Hilfesystem und der Sozialen Arbeit mit Geflüchteten. Im Frühjahr 2018 wurden neue Ausschreibungen für drei Lose veröffentlicht und es folgte heftige Kritik, die sich vor allem auf die Nichtvereinbarkeit der Ausschreibungsinhalte mit den Fachstandards und Prinzipien der Profession Sozialer Arbeit bezieht. Die nur minimalen inhaltlichen Änderungen der Förderkonditionen führten dazu, dass sich schlussendlich die bisherigen und andere interessierte Träger kollektiv nicht beworben haben. Sodann folgte ein Eklat um den Verein Zukunftsorientierte Förderung (Zof) aus Duisburg, welcher zunächst die Lose Landkreis Leipzig Süd und West übernehmen sollte, der jedoch wegen der Veruntreuung von zwei Millionen Euro Fördergelder in die Schlagzeilen geraten war (1). Daraufhin übernahm das Ausländeramt selbst ab 2019 die Flüchtlingssozialarbeit für die Lose Landkreis Leipzig Süd und West. Das Los Landkreis Leipzig Nord wurde in freier Trägerschaft an die Johanniter Unfall Hilfe e.V. vergeben. Dieser Zustand, d.h. die Übernahme der FSA durch das Ausländeramt selbst, wurde von Kritiker*innen wie dem RTM zunächst als Not- und Übergangslösung geduldet. In einer Pressemitteilung vom 12.11.2018 argumentiert der RTM hierzu:

„Die hier angesprochene fachliche Koordinierung und Betreuung der FSA nach Standa rds der Sozialen Arbeit konnte in der Vergangenheit in unseren Augen durch das Ausländeramt nicht geboten werden. […] FSA muss Vertraulichkeit hinsichtlich der thematisierten Inhalte herstellen, den Ratsuchenden die Entscheidung überlassen, welche Auswirkungen die Beratung haben soll und zugleich absichern, dass aus dem Beratungsprozess keine Sanktionen folgen. Diese Sicherheit geht durch die Angliederung der FSA an das Ausländeramt, das gleichzeitig wichtige soziale, aufenthaltsrechtliche sowie aufenthaltsbeendende Entscheidungen trifft, verloren.“ (2)

Bereits im Dezember 2018 machten demnach Expert*innen der Sozialen Arbeit mit Geflüchteten auf die Unvereinbarkeit der Aufgaben der Ausländerbehörden und den Fachstandards ihrer Profession aufmerksam. Diese Kritik bleibt jedoch unbeachtet und die Situation um die Flüchtlingssozialarbeit verschlechtert sich im Landkreis Leipzig zunehmend. Statt dass es sich bei der Übernahme der FSA durch das Ausländeramt um eine Not- bzw. Übergangslösung handelte, ist diese nun seit 01.01.2021 im gesamten Landkreis Leipzig in Trägerschaft des Ausländeramtes.

Anfang 2020 erreichte diese Information die Mitglieder des RTM. In einem Schreiben der Landkreisverwaltung an die Kreistagsfraktionen wird mitgeteilt, dass nach Ablauf der Vertragszeit mit der Johanniter Unfall Hilfe e.V. diese Aufgabe nun auch im Gebiet Landkreis Leipzig Nord durch den Landkreis Leipzig selbst übernommen werden soll. Es wird weder ein bestimmter Zeitraum benannt, noch wird auf die fachlichen Bedenken und Argumentationen von Seiten der Expert*innen aus der freien Wohlfahrtspflege, der Praxis und der Wissenschaft Sozialer Arbeit mit Geflüchteten eingegangen, welche unverzüglich folgten. Diese kritisierten wiederholt die Entscheidung und verwiesen u.a. auf die Bedenken des RTM vom Dezember 2018. Außerdem wurde der Austausch mit den Mitgliedern des Kreistages und der Landkreisverwaltung gesucht und Verantwortliche wurden aufgefordert, diese Entscheidung zu überdenken. Trotz dessen wurde der Kreistag am 06.05.2020 über die Nichtausschreibung und die Übernahme der FSA durch das Ausländeramt im gesamten Landkreis Leipzig informiert und die Entscheidung damit faktisch beschlossen.

2. Stellungnahmen und Positionen zu der Situation der FSA in Trägerschaft des Ausländeramtes aus Wissenschaft und Praxis Sozialer Arbeit

Die fachliche Einschätzungen dieser Situation erfolgte von verschiedenen Akteur*innen aus der Wissenschaft und Praxis der Sozialen Arbeit mit Geflüchteten. U.a. nahmen die Wissenschaftliche Begleitung der Flüchtlingssozialarbeit in Sachsen der Evangelischen Hochschule Dresden Stellung, die Landesarbeitsgemeinschaft Flüchtlings- und Migrationssozialarbeit und auch der RTM verfasste im Mai 2020 ein Positionspapier. Auf folgende Positionen und Stellungnahmen sei verwiesen:

  • EHS vom 06.04.2020: Das Subsidiaritätsprinzip – oder weshalb Flüchtlingssozialarbeit von freien und öffentlichen Trägern kooperativ und ‚auf Augenhöhe‘ geleistet werden muss (3)
  • KAG vom 29.04.20: Stellungnahme der Kreisarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (4)
  • LAG FSA/MSA vom 04.05.20: Stellungnahme Landesarbeitsgemeinschaft Flüchtlings- und Migrationssozialarbeit (5)
  • RTM vom 18.05.2020: Positionspapier des Runden Tisch Migration im Landkreis Leipzig zu den aktuellen Ereignissen rund um die (Nicht-)Ausschreibung der Flüchtlingssozialarbeit (6)

Die fachlichen Einschätzungen sind sich einig, dass es aus einer professionellen Perspektive nicht zu empfehlen bis nicht zu vertreten ist, dass die FSA in öffentlicher Trägerschaft des Ausländeramtes liegt. Statt die detaillierten Ausführungen in den verschiedenen Beiträgen zur problematischen Situation um die Trägerschaft der FSA hier wiederzugeben, werden die Argumentationsaspekte, welche sich in allen Stellungnahmen wiederfinden, kurz genannt und abschließend an Beispielen aus der Praxis der Sozialen Arbeit mit Geflüchteten im Landkreis Leipzig verdeutlicht.

Subsidiaritätsprinzip:

Wiederkehrend ist die Einschätzung, dass das Subsidiaritätsprinzip durch die Übernahme der FSA durch den öffentlichen Träger (sowie der Kommunalen Integrationskoordination und der Rückkehrberatungen) missachtet wird. Hier ist besonders auf die Stellungnahme der Evangelischen Hochschule Dresden zu verweisen, welche ausführlich das Subsidiaritätsprinzip im Allgemeinen sowie im Zusammenhang mit der FSA erläutert. Grundsätzlich und beispielsweise im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe des SGB VIII bedeutet das Subsidiaritätsprinzip, dass freie Träger dem öffentlichen Träger vorzuziehen sind, um Pluralität im Sozialen Hilfesystem zu gewährleisten, Zentralisierungstendenzen abzuwehren und Schutz vor einem übermächtigen Staat zu bieten. Das Subsidiaritätsprinzip sollte wie im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe auch im Bereich der Sozialen Arbeit mit Geflüchteten Anwendung finden und in entsprechenden Verwaltungsvorschriften geregelt werden.

Mandatskonflikte:

Des Weiteren sind Mandatskonflikte von Sozialarbeiter*innen, welche durch das Ausländeramt beschäftigt sind, zu erwähnen, auf welche der RTM bereits im Dezember 2018 verwies. Denn Soziale Arbeit ist als wissenschaftliche Disziplin und praktische Profession in Deutschland anerkannt und professionellen und berufsethischen Standards verpflichtet. Diese finden sich in der Definition Sozialer Arbeit der International Association of Schools of Social Work. Besonders im Kontext von Flucht und Asyl wirkt dies schwer. In der einschlägigen Fachliteratur der Sozialen Arbeit herrscht Einigkeit darüber, dass geflüchtete Menschen die Gruppe in Deutschland ist, deren Menschenrechte besonders gefährdet sind. Sozialarbeitende sind entsprechend der Definition ihrer Profession dazu aufgefordert, aktuelle Bedingungen, mit und in denen Geflüchtete in Deutschland leben, u.a. unter Bezugnahme rechtsverbindlicher Menschenrechtsdokumente, kritisch zu hinterfragen. Das Ausländeramt stellt u.a. eine sanktionierende Instanz dar, welche migrationspolitische Interessen und Ordnungen umsetzt. In der sozialarbeiterischen Praxis entstehen so Interessenskonflikte bei Themenfeldern wie u.a. Zugang zu Bildung, Arbeit, Gesundheit, Leistungen, Wohnen oder Schutzbedürftigkeit.

Lebenswelt der Adressat*innen:

Mit der Entscheidung, dass die FSA durch das Ausländeramt ausgeführt wird, wird die Lebenswelt der Adressat*innen nicht berücksichtigt. Geflüchtete Menschen können durch ihre Biografie und aufenthaltsrechtliche Situation negative Erlebnisse, strukturelle Gewalterfahrungen und bestimmte Deutungen von staatlichen Akteur*innen haben. Ein Vertrauensverhältnis innerhalb der Beratungstätigkeit aufzubauen, gehört zu den Grundsätzen jedes Beratungsansatzes der Sozialen Arbeit. Für Adressat*innen ist die FSA nun nicht mehr eindeutig von der Behörde zu trennen, welche in ihrer Realität mitunter für den Erlass der Abschiebungsandrohung und die Durchführung der Abschiebung zuständig ist oder beispielsweise mit Beschäftigungsverboten sanktioniert. Sofern das Beratungsangebot von Ratsuchenden überhaupt angenommen wird, ist mit Schwierigkeiten im Beratungsprozess zu rechnen. Fraglich ist zudem, welche und ob Fachstandards und Konzepte (u.a. Vertraulichkeit, Ergebnisoffenheit, Beratung auf Augenhöhe) in der Beratung gelten und zu Beginn dargestellt werden. Auch dies ist ein Qualitätskriterium von Beratungstätigkeiten innerhalb professioneller Sozialer Arbeit.

Unterstützungssystem im Landkreis Leipzig:

Es ist davon auszugehen, dass sich die Situation von geflüchteten Menschen, welche durch das Angebot der FSA bestmögliche soziale Hilfe erfahren sollen, durch diese Entwicklung verschlechtert. Es ist nicht nachvollziehbar, dass die Ressourcen der freien Wohlfahrtspflege und freien Träger im Landkreis Leipzig unbeachtet und ungenutzt bleiben. Besonders unverständlich erscheint uns dies, da in den letzten Jahren im Landkreis Leipzig ein professionelles, regional und lokal gut vernetztes und funktionierendes Unterstützungsangebot für Geflüchtete entstanden ist. So fanden beispielsweise trägerübergreifende Klient*innenarbeit oder Verweisberatungen und die gemeinsame Teilnahme oder Organisation von Weiterbildungen statt. Es bestand ein fachlicher Austausch unter allen Akteur*innen der Sozialen Arbeit mit Geflüchteten im Landkreis Leipzig und es etablierten sich unterschiedliche Gremien und Arbeitskreise. Das unabhängige Gremium des RTM ist ein Beispiel hierfür, welches nun seit 2012 besteht und die Landschaft aus freien Trägern, Wohlfahrtsverbänden und Zivilbevölkerung im Landkreis Leipzig umfasst (7).

3. Aus der Praxis Sozialer Arbeit mit Geflüchteten im Landkreis Leipzig

Die in den bisherigen Ausführungen dargestellte theoretische Problematik der Übernahme der FSA durch den öffentlichen Träger der Landkreisverwaltung soll im Folgenden mit Beispielen aus unserer Praxis der Sozialer Arbeit mit Geflüchteten aufgezeigt werden. Zunächst möchten wir jedoch in aller Kürze unsere Erfahrungen in der Praxis erläutern, welche wir mit den Angeboten für Geflüchtete gemacht haben, welche z.T. bereits seit 2019 in Trägerschaft des Ausländeramtes liegen.

So haben wir die Erfahrung gemacht, dass eine Zusammenarbeit mit den sozialarbeiterischen Angeboten des Ausländeramtes seit 2019 faktisch nicht stattfindet. Die im vorherigen Abschnitt beschriebene gute Zusammenarbeit verschiedener freier Träger, welche ein gut funktionierendes Unterstützungssystem für Geflüchtete im Landkreis Leipzig bildeten, bleibt ungenutzt – worunter vor allem die Adressat*innen der Angebote leiden. Eine professionelle Soziale Arbeit ist nur durch Vernetzung mit anderen Akteur*innen in dem entsprechenden Feld möglich. Dass diese partnerschaftliche und strukturelle Zusammenarbeit mit der FSA des Ausländeramtes im Landkreis Leipzig nur mangelhaft stattfindet, zeigte sich in den vergangenen zwei Jahren u.a. durch die fehlende Präsenz bei bestehenden Fachkreis- und Netzwerktreffen und durch die unzugängliche kollegiale Zusammenarbeit in der Klient*innenarbeit. Des Weiteren zeigte sich in unserer Praxis, dass die FSA des Ausländeramtes eine zu enge Auffassung des Begriffes der Rechtsberatung zu nutzen scheint. Die Adressat*innengruppe der FSA, das heißt i.d.R. geflüchtete Menschen ohne Aufenthaltstitel, haben eine Lebenswelt, welche elementar von ihrer rechtlichen Situation bestimmt wird. So sind Interaktionen mit Verwaltung und Justiz, z.B. Antragsstellungen, Widersprüche und Klagen, in der Lebensrealität von Menschen in Gestattungen, Duldungen oder im Dublinverfahren alltäglich und von elementarer Bedeutung. Im Asylgesetz beispielsweise sind es Fristen von nur einer oder zwei Wochen, auch Anträge auf Familiennachzug sind an strenge Fristen gebunden. Auch wenn diese Aufgaben den spezifischen Rechtsberatungsangeboten und Rechtsanwält*innen zukommt, müssen andere Stellen der Sozialen Arbeit sensibel für die Relevanz der rechtlichen Situation von Ratsuchenden sein, um im Sinne ihrer Profession zu handeln. Es zeigte sich in unser Praxis, dass diese enge Auffassung der Rechtsberatung massive, negative Auswirkungen auf das Leben von unseren Adressat*innen hatte.

Ein Beispiel (8) hierfür ist Frau K. Ihr Asylantrag wurde abgelehnt. Die Klagefrist verstrich, da sie durch die FSA nicht über die Möglichkeiten einer Klage und die einzuhaltenden Fristen beraten wurde. Als sie viel zu spät eine Rechtsberatungsstelle aufsuchte, zeigte sich, dass Frau K. im Klageverfahren sehr gute Erfolgsaussichten gehabt hätte, da in ihrem Asylverfahren die in ihrem Fall geschlechtsspezifische Verfolgung nicht ausreichend beachtet wurde. Mit der einfachen Einholung eines Attestes über die bei ihr vorliegende weibliche Genitalverstümmelung/-beschneidung und entsprechende Klagebegründungen hätte Frau K. mit großer Wahrscheinlichkeit die Flüchtlingseigenschaft zugesprochen bekommen. Dass die Klagefrist in ihrem Fall verstrichen ist, hat weitreichende negative Auswirkungen auf ihr Leben.

Ein anderes Beispiel für die problematische Situation der FSA in Trägerschaft der Landkreisverwaltung ist die Situation von Familie C. Diese bezieht gekürzte Leistungen nach § 1a AsylbLG und hat eine Duldung nach 60b AufenthG. Die extrem geringen Leistungen und Sanktionen des Duldungstypus bilden kein menschenwürdiges Existenzminimum. Dennoch leben Menschen laut statistischer Erfassungen z.T. über Jahre hinweg im Status einer Duldung in Deutschland. Das Wohlergehen der Familie und insbesondere die Gesundheit, Bildung und Entwicklung der zwei kleinen Kinder der Familie ist als kritisch anzusehen. Eine Verbesserung der Lebenssituation muss Ziel der Unterstützung sein, das heißt die aufenthaltsrechtliche und finanzielle Situation der Familie zu verbessern. Familie C. wandte sich an eine ehrenamtliche Helferin, da ihr von anderen Bewohner*innen der Sammelunterkunft berichtet wurde, dass die FSA des Ausländeramtes ihr nicht helfen könne.

Ein weiterer Fall ist das Kind H. und dessen Mutter Frau T., diese erkundigte sich bei einer Beratungsstelle für Geflüchtete wegen der Schulanmeldung ihres Kindes. Die Familie befindet sich ebenfalls im Status einer Duldung nach 60b AufenthG, es besteht eine räumliche Beschränkung und Wohnsitzauflage nach § 61 AufenthG sowie ein Beschäftigungsverbot. Das Sorgerecht liegt aktuell beim Kindesvater, welcher nicht vor Ort und wessen genauer Aufenthaltsort unklar ist. Er soll nach Aussage der Mutter jedoch wiederkommen und kümmere sich wohl um dringend benötigtes Geld. Es muss ein Weg gefunden werden, das Kind bei der Schule anzumelden und die aufenthaltsrechtliche sowie finanzielle Situation der Familie muss verbessert werden. Ein schwieriger Fall in der Beratungstätigkeit, besonders sofern die Beratung beim Ausländeramt angesiedelt ist, da Mandatskonflikte entstehen können: Zwischen dem Mandat der Institution, d.h. der Behörde, welche u.a. das Beschäftigungsverbot und die räumliche Beschränkung verhängte sowie dem Mandat der Hilfe/Klient*in sowie dem dritten Mandat bestehend aus ethischen Fachstandards sowie den Menschenrechten. Frau T. traut sich nicht zum Beratungsangebot der FSA in das Ausländeramt, weil sie große Angst vor einer Abschiebung hat und Sanktionen der Behörde befürchtet.

Die Stellungnahmen aus Wissenschaft und Praxis der Sozialen Arbeit aus dem letzten Jahr, unsere zusammenfassenden Ausführungen und Erfahrungen sowie die Beispiele aus der Praxis zeigen, dass die Übernahme des Unterstützungsangebots der Sozialen Arbeit mit geflüchteten Menschen durch die öffentliche Trägerschaft der Landkreisverwaltung auf unterschiedlichen Ebenen als problematisch anzusehen ist. Aus diesem Grund fordern wir, in Anlehnung an die Forderungen aus dem Positionspapier vom 18.05.2020, Folgendes:

4. Forderungen

  • Das Subsidiaritätsprinzip dient als Voraussetzung zur Vergabe der Förderungen auch im Bereich der Integration bzw. der Sozialen Arbeit mit Geflüchteten.
  • Die nächste Ausschreibung der Flüchtlingssozialarbeit beachtet die Fachstandards Sozialer Arbeit.
  • Die Übernahme der Trägerschaft durch den Landkreis darf kein Dauerzustand sein und wird im Landkreis Leipzig spätestens ab 2023 erneut von freien Trägern übernommen.
  • Offenlegung des Konzeptes und Fachvorgaben der FSA unter Trägerschaft des Ausländeramtes.
  • Die Umsetzung des Integrationskonzepts wird mit Kooperation auf Augenhöhe umgesetzt.
  • Die Flüchtlingssozialarbeit in Trägerschaft des Landkreises wird von einer externen und unabhängigen Stelle regelmäßig evaluiert.
  • Eine externe und unabhängige Fachaufsicht von Expert*innen aus Wissenschaft und Praxis wird eingerichtet, die halbjährlich einem Aufsichtsgremium (z.B. Integrationsbeirat, Kreistag) einen Rechenschaftsbericht vorzulegen hat.

Hannah Franke
für den RTM Landkreis Leipzig

(1) vgl. u.a. LVZ-Berichterstattung vom 18.10.2018: Verein im Zwielicht – Graichen will Millionenauftrag dennoch vergeben. URL:
https:// www.lvz.de/Region/Borna/Graichen-will-Millionenauftrag-an-Zof-vergeben
(2) Pressemitteilung vom RTM vom 12.11.18: Fragliche Entwicklungen im Bereich der sozialen Migrations- und Integrationspolitik im Landkreis
Leipzig. URL: https://boncourage.de/news/pm-rtm-ausschreibung-2
(3) Wissenschaftliche Begleitung der Flüchtlingssozialarbeit in Sachsen (ehs-dresden) vom 06.04.2020: Das Subsidiaritätsprinzip – oder weshalb
Flüchtlingssozialarbeit von freien und öffentlichen Trägern kooperativ und ‚auf Augenhöhe‘ geleistet werden muss. URL: https://www.ehsdresden.
de/fileadmin/FORSCHUNG/ehs-forschung/FSA/Das_Subsidiaritaetsprinzip_und_Fluechtlingssozialarbeit.pdf
(4) KAG vom 29.04.20: Stellungnahme der Kreisarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege.
(5) LAG FSA/MSA vom 04.05.20: Stellungnahme Landesarbeitsgemeinschaft Flüchtlings- und Migrationssozialarbeit.
(6) Positionspapier vom RTM vom 18.05.2020: Positionspapier des Runden Tisch Migration im Landkreis Leipzig zu den aktuellen Ereignissen
rund um die (Nicht-)Ausschreibung der Flüchtlingssozialarbeit im Landkreis. URL: Leipzighttps://www.ndk-wurzen.de/aktuelles/positionspapierdes-
runden-tisch-migration-im-landkreis-leipzig-zu-den-aktuellen-ereignissen-rund-um-die-nicht-ausschreibung-der-fluechtlingssozialarbeit-imlandkreis-
leipzig/
(7) Runder Tisch der Migration. Selbstverständnis. URL: https://www.demokratie-leben-lkl.de/selbstverstaendnis-rtm.html
(8) Die Fallbeispiele aus der Praxis sind anonymisiert.