PM: Fragliche Entwicklungen im Bereich der sozialen Migrations- und Integrationspolitik im Landkreis Leipzig

Wie in den vergangenen Pressemitteilungen dargestellt, sind die jüngsten Ereignisse im Landkreis Leipzig für den Runden Tisch Migration mehr als fragwürdig. So beschloss der Landkreis Leipzig mit seiner Stellenausschreibung zur Flüchtlingssozialarbeit (FSA) vom 08.11.2018 offiziell die direkte Angliederung der FSA an das Ausländeramt. Lediglich der Bereich des Los 2 wird von der Johanniter Unfallhilfe aus Leipzig übernommen. Eine unabhängige Sozialberatung über freie Träger wird nunmehr für den größten Bereich des Landkreises abgeschafft. Die langjährig aufgebauten Strukturen und Netzwerke der Flüchtlingssozialarbeit in freier Trägerschaft werden zerschlagen.

Ausgelöst wurde diese Entwicklung durch ein intransparentes Ausschreibungsverfahren, welches der Runde Tisch bereits im Juli aus verschiedenen sozialpädagogischen, sowie arbeits- und datenschutzrechtlichen Gründen kritisierte (vgl. PM vom 31.10.2018). Anstatt mit den bisherigen Trägern an einer den aktuellen Bedingungen angepassten Ausgestaltung der FSA zu arbeiten, wurden die bestehenden Verträge zum 31.12.2018 gekündigt. Aufgrund unüberbrückbarer Diskrepanzen zwischen den Vorstellungen der Beratungspraxis seitens des Landratsamtes und den üblichen Standards Sozialer Arbeit kam es daraufhin zu einem kollektiven Nichtbewerben der aktuellen Träger der FSA.

Anders als vom Landkreis dargestellt, hätte diese Situation durch eine freihändige und kleinteilig rechtmäßige Vergabe an die bekannten lokalen Träger durchaus abgewendet werden können. Bisher war der Vergabewillen im Landkreis Leipzig an unabhängige freie Träger seitens des Landratsamtes vorhanden, nun fehlt dieser, wodurch die FSA nicht gemäß dem Subsidiaritätsprinzip aus öffentlicher Hand abgegeben wird und die Augen vor der berechtigten Kritik von Fachkräften, die seit mehreren Jahren in diesem Bereich Erfahrungen gesammelt haben, verschlossen werden. Dies ist für den Runden Tisch Migration nicht nachvollziehbar.

Bei der Beantwortung der Frage nach den Weisungspflichten und der Fachaufsicht der FSA antwortete der Landkreis Leipzig in einer Anfrage der Fraktion DIE LINKE an die Sächsische Landesregierung vom 01.03.20182, dass diese derzeit bei den freien Trägern liege. Jedoch würde „Die Flüchtlingssozialarbeit […] durch das Ausländeramt koordiniert und fachlich betreut […]“ werden. Die hier angesprochene fachliche Koordinierung und Betreuung der FSA nach Standards der Sozialen Arbeit konnte in der Vergangenheit in unseren Augen durch das Ausländeramt nicht geboten werden. In diesem Zusammenhang stellt sich zudem die Frage, wer zukünftig die Fachaufsicht haben wird. FSA muss Vertraulichkeit hinsichtlich der thematisierten Inhalte herstellen, den Ratsuchenden die Entscheidung überlassen, welche Auswirkungen die Beratung haben soll und zugleich absichern, dass aus dem Beratungsprozess keine Sanktionen folgen. Diese Sicherheit geht durch die Angliederung der FSA an das Ausländeramt, das gleichzeitig wichtige soziale, aufenthaltsrechtliche sowie aufenthaltsbeendende Entscheidungen trifft, verloren. Sollte die FSA durch das Ausländeramt ausgeführt werden, befürchten wir eine vom Anfang an bestehende Diskrepanz aufgrund bestehender Interessenskonflikte zwischen den Ratsuchenden und der Verwaltungsbehörde als Ordnungs- und Ausführungsorgan bestehender Asylgesetze. Es ist damit zu rechnen, dass viele Ratsuchende das Angebot der FSA weniger nutzen werden. Nachteilige Entwicklungen im gesellschaftlichen Zusammenleben und der Integration in den einzelnen Kommunen würden begünstigt.

Des Weiteren beklagt der Runde Tisch Migration die Änderung der „Ordnung zur Bildung und Arbeit des Integrationsbeirates im Landkreis Leipzig“ durch den Kreistagsbeschluss vom 12.09.2018. Darin wurde der Passus „drei im Landkreis lebende Personen mit Migrationshintergrund“ dahingehend geändert, dass Personen ohne gefestigten Aufenthaltstitel nicht mehr im Integrationsbeirat vertreten sein sollen, was zwei der drei aktuell vertretenden Personen mit Migrationshintergrund betreffen würde.

Gemäß der Sächsischen Landkreisverordnung dürfen „sachkundige Einwohner“, was de facto jede gemeldete Person ist, in einem Beirat vertreten sein, unabhängig ihres Aufenthaltsstatus. Warum das Landratsamt dennoch eine Erweiterung des Begriffes und somit eine Einschränkung vornahm, wurde später mit der Voraussetzung einer ‚Bleibeperspektive‘ bei den Beiratsmitgliedern begründet. Abgesehen davon, dass eine solche Bleibeperspektive auch nicht bei anderen, nicht-migrantischen Beiratsmitgliedern gesichert ist, ist die Entscheidung für den Runden Tisch weder rechtlich noch menschlich nachvollziehbar. Aufgrund einer ausbleibenden klaren Begründung, warum eine Ordnungsänderung, die zum Ausschluss bestimmter Beiratsmitglieder führen würde, unbedingt notwendig war, keimt der Verdacht einer bewussten Diskriminierung und beabsichtigter gesellschaftspolitischer Ausgrenzung auf. Es ist ein Armutszeugnis, die Zusammensetzung eines Integrationsbeirates, der „die Integration der im Landkreis lebenden Personen mit Migrationshintergrund aktiv fördern“ soll, neu zu beschließen und dahingehend zu ändern, dass Menschen mit Migrationshintergrund, ungeachtet ihrer persönlichen Fähigkeiten und Erfahrung, aus dem Beirat ausgeschlossen werden können, nur weil sie nicht im Besitz eines entsprechenden Aufenthaltstitels sind, zumal sie durch ihre eigene Migrationsgeschichte die eigentliche Interessenvertretung von im Landkreis lebenden Migrant_innen sind.

In Hinblick auf die fragwürdigen Entwicklungen der letzten Wochen fordert der Runde Tisch Migration:

  • Keine Angliederung der Flüchtlingssozialarbeit an das Ausländeramt des Landkreis Leipzig und eine Neu-Ausschreibung, die in Zusammenarbeit mit praxiserfahrenen Akteuren und freien Trägern erarbeitet wurde

  • Gewährleistung einer unabhängigen, unparteiischen Flüchtlingssozialarbeit mit den qualitativen Standards Sozialer Arbeit

  • die Anbindung der FSA an das Ausländeramt als maximal vorübergehende und auf kurze Zeit beschränkte Lösung, die ein Jahr nicht überschreiten sollte, sowie eine öffentliche, verbindliche Angabe seitens des Landratsamtes, ab wann die FSA wieder in die Hände freier Träger abgegeben werden soll

  • Überprüfung der derzeitigen Ordnung des Integrationsbeirats auf deren Rechtmäßigkeit und vielmehr noch, eine erneute Änderung der Ordnung in §2 Abs. 1 Buchstabe c mit dem Inhalt „drei Einwohner_innen mit Migrationsgeschichte, unabhängig ihrer derzeitigen aufenthaltsrechtlichen Situation“